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Getreide


Koerner OBENGetreide ist relativ "neu" auf unserem Speiseplan. Genau genommen seit etwa 10.000 Jahren, weil die Kultivierung von Getreide die revolutionäre Umwandlung der Jäger-Sammler-Gesellschaften zur Sesshaftigkeit bedeutete. ("Neolithische Revolution") Getreide, und durch die Tierhaltung auch die Verwendung von Milchprodukten, kamen neu auf den Speiseplan. Für die Verstoffwechslung von Milchprodukten war dabei eine massive genetische Mutation notwendig: nämlich die Möglichkeit, Lactose (Milchzucker) auch nach Ende des Stillens verwerten zu können. Mehr davon im nächsten Kapitel.

Einschub: auch andere Anpassungen sind in den letzten 10.000 Jahren passiert. Z.B. produzieren Populationen mit hohem Stärkekonsum mehr Amylase (Enzym, das Stärke spaltet) im Speichel.

 

Mit Getreide ist das eine etwas andere Geschichte. Bis die Erträge entsprechend gut und stabil waren, waren die Auswirkungen auf die ersten Menschen drastisch: sie waren deutlich kleiner, hatten schlechtere Zähne und eine schlechtere Gesundheit.

 

Denn wie alles Lebende, haben auch Pflanzen das Bedürfnis, nicht gefressen zu werden und sich zu vermehren. Deshalb haben sie Lektine und Phythate als Schutz in der Außenhülle, die für Probleme sorgen können. Lektine werden mit dem "Leaky-Gut" Syndrom (undichter Darm) in Verbindung gebracht, weil sie die Wände des Dünndarms beschädigen können. Damit können Toxine aus dem Darm "überall" dort hinkommen, wo sie nix verloren haben. Die Folge können Autoimmunkrankheiten, Morbus Crohn, Schilddrüsenprobleme, Bauchspeicheldrüsenprobleme und vieles mehr sein.

Phythate wiederum binden Kalzium, Eisen, Zink und Mangan, die dann nicht oder kaum aus dem Darm resorbiert werden können.

Vollkornprodukte haben übrigens mehr der Lektine und Phythate.

Ein weiteres Problem ist Gluten, ein Protein das bis zu 80% des Proteins in Weizen, Roggen und Gerste ausmacht. Hier nimmt die Zöliakie mittlerweile riesige Ausmaße an - und dazu NCGS, "Non Celiac Gluten Sensitivity", Glutenunverträglichkeit ohne zöliakiespezifische Antikörper. Heute kommen auf jeden diagnostizieren Zöliakiefall über 6 Fälle, die keine Diagnose erhalten.

Zöliakie ist eine Entzündungsantwort auf Gluten im Dünndarm - Durchfall, Blähungen, Schmerzen sind die Folge, die letztlich zu Müdigkeit, Lethargie und Fehlernährung führen. Zöliakie ist aber nicht nur eine "Verdauungsstörung" - sie ist mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung gebracht, wie Diabetes, Multiple Sklerose, Osteoporose, Migräne, Allergien, Asthma, Depression etc.  Zöliakie hat in den letzten 50 Jahren dramatisch zugenommen. Warum das?

Weizen ist heute so "überall", dass er außer in Waschmitteln wahrscheinlich nirgendwo wegzudenken ist (inklusive der essbaren Verpackung von Medikamenten). Er ist ein Anpassungskünstler und kommt mit einer breiten Palette an Umweltbedingungen zurecht. Was wir heute als Weizen kennen, verspeisen, und in allen Lebensmitteln vorfinden, hat aber mit dem Weizen, mit dem Ur-Oma das Brot und den Kuchen gebacken hat, nichts mehr zu tun. Heute haben wir einen Superturbo-Weizen auf 50cm hohen Halmen.

Brot Ruecken VORNEDer Ur-Ur-Ur-Ur-Ahn (nicht einmal mehr der Uropa, das neue Wesen hat sich nämlich komplett gewandelt) ist Einkorn. Das ist das Korn, das auch Ötzi bei der versuchten Überquerung der Alpen mit dabei hatte, und das Teil seiner letzten Mahlzeit (neben Steinbock- und Hirschfleisch, sowie Pflanzen - und nach neuesten Vermutungen einer Urform von Käse!) war. Einkorn ist zäh, kälteunempfindlich und mit einem Genom von nur 14 Chromosomen ausgestattet.

Aus der Kreuzung mit einem Wildgras entstand der Emmer, der mit 28 Chromosomen die Information beider Urformen gespeichert hat. Anders als wir Menschen können Pflanzen wie der Weizen die Gesamtmenge der Gene der Vorfahren mitnehmen. Einkorn und Emmer blieben mehrere tausend Jahre Grundnahrungsmittel. Sie haben ganz andere Backeigenschaften als unser heutiges Mehl und wären für einige unserer "Leckerlis" schwer zu gebrauchen.

Als nächste Stufe entstand aus Emmer und einem anderen Wildgras der Weichweizen mit 42 Chromosomen. Er trägt jetzt die genetischen Informationen von 3 verschiedenen Pflanzenarten und ist dem heutigen Weizen ähnlich. Einkorn und Emmer werden durch ihn verdrängt. Weizen wird von Columbus nach Amerika eingeführt und breitet sich allmählich, sich dabei nur sehr langsam verändernd, aus. Einkorn und Emmer werden von den verschiedenen kultivierten Sorten des Weizens - wie Hartweizen für Pasta - ersetzt. Einkorn (und Emmer) findet man allerdings heute wieder: es ist durch den Beta-Carotin Gehalt gelblich, hat doppelt so viele Aminosäuren, halb soviel Kohlenhydrate und viel mehr Mineralstoffe als Saatweizen. Das Mehl schmeckt aromatisch und herzhaft und ist von den Backeigenschaften anders. Selbstgemachtes Einkornbrot ist dabei eine echte Delikatesse!

Weizen ist heute für möglichst hohe Erträge gezüchtet, wobei diese Züchtungen mittlerweile so weit gehen, dass ohne Nitritdünger und Pestizide kein Überleben der Weizenpflanzen mehr möglich wäre. Durch die Züchtungen lösen sich die Körner leicht von den Ähren und die Halme sind etwa noch 50cm hoch - was auch mehr Ertrag bringt.

Hochleistungsweizen (Hybridweizen) ist also das, was in den letzten 50 Jahren entstanden ist - und dabei wurde er übrigens nie auf "Verträglichkeit" überprüft. Die Ausgangslage war: wenn die Ausgangsmaterialien ungiftig sind, ist es auch das Endrodukt. Alles Weizen, alles gut, sozusagen. Nun unterliegen allerdings die Glutenproteine bei der Hybridisierung beträchtlichen Änderungen - es gibt neue Proteine, die in den Eltern nicht vorkommen und es gibt mehr Gene für Gluten. Und das steht mit Zöliakie in Verbindung. Und damit kann ein duftendes Weizenweckerl heute bei vielen Menschen zur "inneren Verwüstung" führen.

Wir haben uns hier mit Weizen beschäftigt, weil er DAS Getreide schlechthin für uns ist, "überall" vorkommt und in der heutigen Turbovariante doch einer erklecklichen Anzahl von Menschen große Probleme bereitet.

Wir wollen aber natürlich nicht vergessen, dass es auch andere Getreidesorten gibt (Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Reis, Mais, Hirse) und Pseudogetreide (Amarant, Quinoa und Buchweizen). Pseudogetreide sind keine Gräser (wie Getreide), sind aber stärke- und mineralstoffhaltig und haben einen entscheidenden Vorteil für Zöliakie-Leidende - sie haben kein Gluten. Damit sind sie allerdings auch nicht zum Backen geeignet (von Fladenbrot einmal abgesehen).

Allen eigen sind, wie schon erwähnt, die Lektine und Phytate - man kann den Pflanzen nicht verdenken, dass sie nicht gegessen werden wollen. Allerdings hat der Mensch im Laufe der Evolution gelernt, einigermaßen damit umzugehen. Und wie immer: die Dosis macht's.

Womit wir mit einem heiklen Thema abrunden können: Genmais, Gensoja, Turbozüchtungen…..

Grundsätzlich muss man festhalten, dass genetische Änderungen nichts Böses sind - sie sind DAS Leben. Ein Lebewesen, dass nicht gefressen werden will, entwickelt Strategien (siehe unsere Lektine) - allerdings entwickeln auch die Fressfeinde Strategien und so kommt es über lange Sicht zu stetigen Veränderungen, die auf beiden Seiten graduell vorangehen, und bei denen alle beteiligten Systeme Änderungen vornehmen. Auch wir, wenn wir stärkehaltige Pflanzen verstärkt auf unserem Speiseplan haben: diese Völker haben deutlich mehr Amylase im Speichel.

Aber die Änderungen gehen LANGSAM vor sich. Das Beispiel Lactose-Toleranz haben wir erwähnt. 10.000 Jahre sind seit der Nutzung von Milch als Nahrungsquelle ins Land gezogen, doch die genetische Änderung auf unserer Seite ist erst bei einem Teil der Menschen soweit und stabil, dass Milch im Erwachsenenalter vertragen wird.

Der Turboweizen steht erst seit 50 Jahren auf unserem Speiseplan - und genetisch modifizierter Mais oder genetisch modifiziertes Soja auch erst seit kurzem. Und hier macht dann unsere eigene genetische Ausstattung den Unterschied aus, ob wir krank werden, oder das ganze halbwegs gut verdauen. Nicht vergessen, wir sind ja nicht nur unterschiedlich ausgestattet was die Gene betrifft, wir haben auch eine unterschiedliche Darmflora. Und diese unsere Mitbewohner bestimmen, was wir essen und verdauen können, oder was uns aus der Bahn wirft.

Kurz gesagt: unser Körper ist in Bezug auf das, was wir im zumuten vielfach einfach nicht ausgerüstet, er kann aber auch nicht "nachrüsten". "Das Leben" kann nur langsam, über viele, viele Generationen darauf reagieren, wenn der Selektionsdruck groß genug ist. Also: so in 10.000 Jahren dann…… ;-)

FAZIT: Getreide variieren, Vielfalt leben, Bio-Qualität bevorzugen! Und so weit wie möglich wieder Kontrolle über die eigenen Lebensmittel bekommen.